Ein weiteres schwerwiegendes Argument für die Schaffung des Wilzschhaus Nostalgie-Express ist: Dieser Zug wäre aus FHWE-Sicht der erste „richtige” und damit einzige klassische, regelspurige Museumszug in Sachsen - wenn man die Messlatte am Alter und am „Klassik-Faktor” des Wagenmaterials anlegt.
Eisenbahn-Nostalgiefahrten gibt es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR seit zirka 1970 - also seit rund 45 Jahren. In den 1970er und 1980er Jahren war stets unstrittig klar, was unter historischer Eisenbahn zu verstehen ist: Natürlich Dampflokomotiven und bei den Wagen wirklich klassisches Fahrzeugmaterial, sprich Altbau-Wagen aus den Zeiten der Länderbahnen oder der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft in nicht rekonstruiertem Originalzustand. Die Deutsche Reichsbahn manifestierte diese Philosophie zu DDR-Zeiten in stilreinen, originalen Traditionszügen wie dem Zwickauer Traditionseilzug, dem Veltener Traditionszug oder auch mit den Fahrzeugen der damaligen Traditionsbahn Erfurt West. Auch Anfang der 1990er Jahre, also längst zur Nachwendezeit lautete das Motto - nun schon bei Eisenbahnvereinen - im Rahmen so genannter Plandampfaktionen noch: Originalität und der „Klassik-Faktor” des eingesetzten Fahrzeugmaterials haben absolute Priorität.
Doch in den letzten 20 Jahren, etwa seit Mitte der 1990er Jahre, hat ein bestimmter Trend bei den sächsischen Regelspur-Museumsfahrzeugen eingesetzt: Der Fokus ging weg von wirklich historischem Fahrzeugmaterial und hin zu relativ modernen Loks und Wagen, welche aus DDR-Produktion stammen, die nicht selten gerade einmal in den 1970er oder 1980er Jahren fabrikneu waren, die modernen Konstruktionsmerkmalen und Bauweisen entsprechen und noch um 1995 im ganz normalen Plandienst der Deutschen Bahn AG standen - ja teilweise sogar noch bis Anfang der 2000er Jahre. Es ist nicht immer nur der reine Geschmack, sondern oftmals sind es auch ganz pragmatische Praxisgegebenheiten, welche die Betreiber solcher „historischer” Eisenbahnfahrzeuge dazu bewegen, lieber relativ moderne Loks und Wagen, als echtes historisches Fahrzeugmaterial vorzuhalten. Die Motive können hier in der freizügigen Einsatzfähigkeit der Fahrzeuge liegen oder in deren Unterhaltskosten oder in deren Vermarktungsfähigkeit außerhalb des Museumsbahnbereiches - doch dies sind keine kulturellen, sondern rein betriebliche bzw. betriebswirtschaftliche Parameter.
Auf diese Art und Weise hat sich in den letzten 20 Jahren der folgende Zustand herausgebildet: Wohin das Auge blickt - von Ost- über Mittel- bis Westsachsen - bei betriebsfähigen, regelspurigen Museumswagen handelt es sich in recht monotoner Art und Weise um Wagen der Gattungen Bghw, Bom, By u.ä. Mit Aluminium-Übersatzfenstern, mit Tonnendächern und mit Gummiwülsten anstatt klassischer Aufstiegsbühnen an den Wagenenden, so wie moderne Eisenbahnfahrzeuge halt nun einmal aussehen.
Was dabei im Freistaat Sachsen nahezu komplett auf der Strecke geblieben ist, das ist die Erhaltung wirklich historischer, betriebsfähiger Regelspurwagen. Es gibt hier den Windbergbahn-Aussichtswagen aus Dresden und den Altenberger Wagen der ISEG, aber das war es dann auch schon. Von diesen beiden positiven Ausnahmen einmal abgesehen gibt es in Sachsen keine betriebsfähigen Altbau-Regelspurpersonenwagen.
Wirklich historische Museumszüge auf 1.435 mm-Spur mit Fahrzeugmaterial von vor 1945 existieren in verschiedenen Bundesländern und Regionen Deutschlands - beispielsweise in Thüringen mit dem „Donnerbüchsen”-Zug der Rennsteigbahn, in Sachsen-Anhalt mit dem DRG-Museumszug der Dampfzug-Betriebs-Gemeinschaft Loburg, in Berlin mit dem Reichsbahn-Zug der Berliner Eisenbahnfreunde, in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Schweriner Traditionszug, in Nordrhein-Westfalen mit dem Preußenzug der Mindener Museumseisenbahn oder in Niedersachsen mit dem Reichsbahnzug von 1928 der Dampfzug-Betriebs-Gemeinschaft Hildesheim. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Wo es keinen einzigen, derartigen Regelspur-Museumszug gibt, das ist Sachsen. Ganz Sachsen.
Hervorragende Aufarbeitungen von Originalfahrzeugen gibt es in Sachsen ausschließlich im Bereich der Schmalspurbahnen. Hier existieren in Jöhstadt, in Schönheide Mitte, in Radebeul, in Hainsberg, in Jöhstadt, in Zittau nach strengen Maßstäben vorbildlich restaurierte Wagenzüge verschiedenster Epochen. Unbestritten: Sachsen ist das Land der Schmalspurbahnen - aber es ist bei weitem nicht nur das Land der Schmalspurbahnen. Denn trotz der vielen Schmalspurbahnen machten diese auch während der Zeit ihrer größten Ausdehnung niemals mehr als rund 15 % des sächsischen Eisenbahnnetzes aus. Sachsen ist aber auch das Land eines der dichtesten regelspurigen Eisenbahnnetze - unter anderem deshalb braucht Sachsen auch einen historischen Regelspurpersonenzug - und zwar einen „echten” historischen Zug, der aus wirklich klassischem Altbau-Fahrzeugmaterial besteht. Dieser Museumszug wird der Wilzschhaus Nostalgie-Express.